Human Design: ist da was dran?!

Human Design - Kritik

Ich beschäftige mich ja viel mit Psychologie, Persönlichkeitsentwicklung und so weiter und lese dazu nicht nur Bücher, sondern auch etliche Blogs. Dabei bin ich immer wieder über das Thema „Human Design“ gestolpert.

Vor allem auf Blogs von Coaches und Mentoren taucht Human Design regelmäßig auf und wird begeistert beschrieben als eine Methode zur Selbsterkenntnis (gegen Geld, selbstverständlich).

Nun bin ich ja ein sehr kritischer Mensch, aber auch neugierig und daher habe ich dem Ganzen einfach mal eine Chance gegeben. Mit Spiritualität kann ich ja sehr viel anfangen, mit Esoterik hingegen null.

Tarot und andere Kartendecks lege ich mir tatsächlich immer mal wieder ganz gerne – aber nicht, weil ich denke, dass irgendeine höhere Macht genau diese oder jene Karte für mich ausgewählt hat und darin irgendeine ominöse Wahrheit zu finden ist. Sondern weil ich die Themen gern als Anstoß zur Reflektion nutze und es nun mal einfacher ist, für eine Fragestellung bestimmte Impulse zu bekommen, als völlig frei heranzugehen.

Also. Zurück zum Human Design.

Was ist Human Design?

Man nehme: eine Portion Astrologie, die Chakrenlehre aus Indien, eine Prise jüdische Kabbala und das chinesische I Ging. Einmal alles zusammen in einen großen Kessel geben, gut umrühren, mit dem Geburtszeitpunkt würzen und fertig ist die Persönlichkeitsanalyse. Umfüllen in eine Flasche und auf das Etikett in die Zutatenliste noch Genetik und Quantenphysik schreiben. Guten Appetit!

Du siehst schon, so ganz ernst habe ich das alles von Anfang an nicht nehmen können.

Das Konzept hinter Human Design soll erstmal sehr wissenschaftlich klingen: erwiesenermaßen gibt es ja Neutrinos. Das sind diese winzig kleinen Elementarteilchen, die alles durchdringen (ja, auch durch deine Augen, während du das hier gerade liest. Tun sie wirklich. Teilchenphysik rockt!).
Human Design stellt nun die Theorie auf, dass diese flutschigen kleinen Dingerchen unsere Persönlichkeit prägen und beeinflussen. Und zwar zu zwei Zeitpunkten – dem unserer Geburt und 88 Tage vorher, weil sich dann angeblich die Seele formt bzw. weil ab diesem dritten Trimester der Schwangerschaft die Entwicklung des Gehirns besonders stark voranschreitet.
Maßgeblich für den Einfluss der Neutrinos soll die Konstellation der Planeten zu diesen Zeitpunkten sein.

Wissenschaftlich belegt ist das Ganze (natürlich) nicht.

Wer hat’s erfunden?

Konzepte wie die Astrologie oder die Chakren sind Jahrtausende alt.

Frei nach dem Motto „Die Mischung macht’s“ ist Human Design aber deutlich jünger: 1987 hatte der Kanadier Alan Robert Krakower laut eigener Aussage ein „Channeling“, d.h. eine mystische Stimme soll ihm das Konzept eingegeben haben. Das lasse ich jetzt einfach mal unkommentiert so stehen.
Ein paar Jahre später fing er dann an, das Ganze als Human Design zu lehren und nannte sich fortan Ra Uru Hu. 2011 starb er.

Was hat es mit dem Human Design-Chart auf sich?

Auf Basis des Geburtstages, der -uhrzeit und des Geburtsortes wird eine Grafik erstellt, das sogenannte Chart.
Das sieht erstmal ziemlich kompliziert aus und besteht aus Kästchen, Linien und Zahlen. Indem man das Chart interpretiert, soll man erfahren, welcher Typ Mensch man ist, welche Potentiale in einem schlummern und so weiter.

„Sei einfach du selbst“, sagt man. […] Das Problem dabei ist: Wie viele von uns wissen wirklich, was „man selbst sein“ tatsächlich bedeutet?

Chetan Parkyn: Human Design, S. 13

Jedes Human Design-Chart enthält 9 Zentren (die den Chakren entsprechen), 36 Kanäle (die Linien, die diese Chakren verbinden) und 64 Tore (die Enden dieser Linien). An den Toren stehen Zahlen. Die Zentren und die Kanäle sind entweder eingefärbt oder nicht, was bezeichnet, ob sie bewusste / festgelegte Eigenschaften oder unbewusste / flexible Eigenschaften sind.

Je nach Chart gehört man zu einem von fünf Typen (Manifestoren, Generatoren, Manifestierende Generatoren, Projektoren, Reflektoren). Die Art und Weise, wie man Entscheidungen treffen sollte, wird über die sogenannte Autorität beschrieben und heißt dann beispielsweise „Sakrale Autorität“. Als dritten Faktor gibt es dann noch 12 verschiedene Profile (beispielsweise „1/3“), die aus einer Kombination bestimmter Linien bestehen.

Eine vollständige Beschreibung nach Human Design wäre dann beispielsweise „Manifestierender Generator mit Profil 3/5 und emotionaler Autorität“.

Das Generieren dieses Charts ist wohl ziemlich komplex und nichts, was man mal eben selber mit Stift und Papier macht.

Im Internet gibt es diverse Seiten, auf denen du dir dein Chart erstellen lassen kannst. Das dient in der Regel als Einstieg in einen Verkaufsfunnel, um Unterstützung beim Interpretieren des Charts zu kaufen, Coaching-Sessions und so weiter.

Ich habe mir stattdessen erstmal ein Buch zum Selbststudium zugelegt:

Human Design: Entdecke die Person, die Du wirklich bist
Preis: 28,00 €
(* = Affiliate-Link / Bildquelle: Amazon-Partnerprogramm)

Im ersten Kapitel wird der Aufbau des Human Design-Charts erklärt, danach geht um die Zentren, Autoritäten, Kanäle, Tore und Profile und wie das alles zusammenspielt.

Der Selbstversuch

Ich habe mir also mein Chart generiert und bin dann beim Lesen zwischen Chart und „Anleitung“ hin und her gesprungen.

Tja.

Da fing das Problem an.

Ehrlicherweise hatte ich keinen bahnbrechenden Aha-Effekt, wie ihn die Coaches so oft beschreiben. Das Durchlesen meines Charts hat mein Leben definitiv nicht „komplett auf den Kopf gestellt“, mir ist nicht „plötzlich so vieles klar geworden“. Aber gut, damit habe ich auch nicht gerechnet.

Ich muss dazu sagen, dass ich mich ja schon etliche Jahre mit Persönlichkeitsentwicklung auseinandersetze, viel reflektiere, an mir arbeite und daher auch ziemlich genau weiß, wie ich ticke. Über meine Firma hatte ich zudem die Chance, zwei renommierte Persönlichkeitstests abzulegen (Insights und CliftonStrengths) und wir leben eine Feedback-Kultur, bei der meine Selbstwahrnehmung regelmäßig durch die Rückmeldungen meiner Kollegen gechallenged wird.

Hätte ich beim Human Design nur die Beschreibungen „meiner“ Eigenschaften gelesen, wäre daran nichts verkehrt gewesen. Allerdings bin ich ja nun ein neugieriger und auch gründlicher Mensch. Deswegen habe ich das Buch von A bis Z gelesen und somit auch die Beschreibungen der Typen / Profile etc., die laut Chart gar nicht auf mich zutreffen.

Nochmal tja.

Wie gesagt, „meine“ Beschreibungen waren nicht grundsätzlich völlig unzutreffend. Allerdings hätten an etlichen Stellen die Beschreibungen anderer Eigenschaften deutlich besser gepasst.

„Vielleicht liegt das Busch falsch oder ich interpretiere die Aussagen des Autors nicht richtig“, dachte ich mir, und habe das Internet durchwühlt. Mit dem gleichen Ergebnis – es passt einfach nicht.

An dieser Stelle möchte ich einen kleinen Exkurs einfügen zu einem superinteressanten und superwichtigen Punkt:

Human Design und der Barnum-Effekt

Es gibt in der Psychologie ein spannendes Phänomen, das als Barnum-Effekt oder auch Forer-Effekt bekannt ist: wir Menschen neigen dazu, positive vage Aussagen über uns selbst als zutreffende Beschreibung unserer ganz individuellen Persönlichkeit zu interpretieren.

Das können Beschreibungen sein von Eigenschaften, die eigentlich alle Menschen haben („Für deine große Liebe würdest du durchs Feuer gehen“) oder solche, die wir einfach gerne hätten, die mit unserem Welt- und Selbstbild übereinstimmen und wo wir uns gut fühlen, wenn die anscheinend jemand in uns sieht („Du stehst meist unerschütterlich für deine Werte ein“). Es sind immer Eigenschaften, die man nicht objektiv messen kann, und die so schwammig ausgedrückt sind, dass sie eigentlich bei niemandem völlig falsch liegen.

Und ja, bei Persönlichkeitstests aller Art spielt der Barnum-Effekt eine verdammt große Rolle. 😀

Wir tendieren sogar dazu, zutreffende Punkte deutlicher wahrzunehmen als das, was eigentlich Bullshit ist. Unzutreffende Beschreibungen werden vom Hirn automatisch ausgeblendet. Infolgedessen sagen wir am Ende nicht, dass 50% der Beschreibung zutreffen, sondern tatsächlich 95%.

Im Jahr 1948 führte der Psychologe Bertram R. Forer dazu ein Experiment durch, das seitdem oft mit dem gleichen Resultat wiederholt wurde: er ließ seine Studenten einen Persönlichkeitstest absolvieren. Sie erhielten anschließend eine persönliche Charakterbeschreibung und sollten auf einer Skala von 0 (mangelhaft) bis 5 (perfekt) angeben, wie zutreffend die Testergebnisse für sie waren.
Der Durchschnitt lag bei 4,26 Punkten – der Persönlichkeitstest schien also zu funktionieren.
Der Haken an der Sache: Forer hatte jedem Studenten die exakt gleiche Charakterbeschreibung ausgehändigt. 😀

Das ist auch beim Human Design nicht anders.

Mein Fazit

Wie gesagt, keine der Beschreibungen war absolut falsch. Dazu sind sie auch viel zu allgemein gehalten. Und ich kann mir gut vorstellen, dass man sich komplett darin gespiegelt sieht, wenn man die Ergebnisse des Human Design-Charts nicht anderen Tests und Feedbacks gegenüberstellen kann.

Genau dann fängt es aber an zu knirschen: beispielsweise weiß ich von mir selber, dass ich ein analytisches Mindset habe und ein absoluter Kopfmensch bin. Ich zerdenke die Dinge, habe tausend Ideen und davon immer mindestens 617 gleichzeitig. Es wäre also folgerichtig, dass in meinem Chart das Stirnchakra, das für den Verstand steht, definiert wäre. Ist es aber nicht.
Die Tatsache, dass andere Beschreibungen so viel passender wären, zieht sich durch derart viele Bereiche des Charts, dass die Treffsicherheit einfach ein Witz ist.

Bin ich darüber erstaunt? Nicht wirklich. Bin ich enttäuscht? Ein bisschen. Ich wollte wirklich damit arbeiten. Ich hätte es nett und interessant gefunden.

Ich hätte mit einem Augenzwinkern über die Tatsache hinweggesehen, dass die Neutrino-Theorie hinkt: nachdem die Dingerchen ja immer alles durchdringen, wieso soll dann der exakte Zeitpunkt der Geburt so entscheidend für den „energetischen Hintergrund“ eines Menschen sein? Erstens gehen Veränderungen in der Natur immer fließend vonstatten und sind nicht minutengenau getimt. Siehe Jahreszeiten, Mondphasen und so weiter. Zweitens durchdringen Neutrinos logischerweise auch die Bauchdecke der Mutter und erreichen das Baby ja nicht erst, sobald es auf die Welt kommt. Aber okay.

Dass die genetische Veranlagung völlig außen vor gelassen wird – Schwamm drüber.

Dass sämtliche Babys, die zum mehr oder weniger gleichen Zeitpunkt in dem selben Krankenhaus bzw. sogar in der selben Stadt oder Region zur Welt kommen, gleich gestrickt sein müssten? Okaaaaaaay.

Aber bei so vielen eindeutig nicht zutreffenden Beschreibungen ist Human Design für mich persönlich als Werkzeug zur Selbsterforschung schlichtweg unbrauchbar.

Schade. Aber auch das ist eine Erkenntnis. 😀

Natürlich könnte ich den Fehler jetzt bei mir suchen – vielleicht bin ich ja einfach zu doof, das Chart richtig zu interpretieren, und eine professionelle Beratung würde mir für etliche Hundert Euro erklären können, warum das alles ja doch nicht so ist, wie es da steht… 🤪

2 Kommentare zu „Human Design: ist da was dran?!“

  1. Spannender Artikel!
    Also, ich konnte da auch nix mit anfangen. Ich bin seit Jahren Astrologin, und keine Ahnung wie, aber das System funktioniert für mich – wenn wer komisch fragt, was ich da mache, wenn ich in die App gucke für meine aktuellen Transite, sag ich meistens „Wetterbericht gucken“. Knapp ehrlich. 😅
    Nun war ich vor ein paar Jahren neugierig und hab mir auch mal ein Buch zu Human Design besorgt. Eigentlich genau so, wie du das beschreibst. Da passte nicht viel. War aber schon auf den ersten paar Seiten abgeschreckt – mein erster Gedanke war, wtf ist das hier, Scientology? Wenn sich ein Erfinder von sowas schon einen superwichtig klingenden Kunstnamen verpassen muss, bin ich eh raus. Neenee, das war nix… 😂

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