Lost Places – Geisterdorf Immerath

Für den Tagebau werden in NRW ganze Landstriche und Dörfer geopfert – so auch Immerath, das rund 900 Jahre nach seiner ersten Erwähnung einfach ausradiert wird.

Zuerst fällt die Stille auf. Dann die Leere. Verlassene Straßen, kein Auto parkt am Bürgersteig. Mit Brettern zugenagelte Fenster, heruntergelassene Rollläden. Die Briefkästen aufgeklappt, leer, nur ein paar trockene Blätter kleben in den Spinnweben in der Ecke. Ein Loch klafft im Kirchturm und wird nie mehr repariert. Vor Monaten schon wurde der Dom offiziell entweiht. Die Menschen haben das Dorf verlassen, wurden umgesiedelt.

Zurück bleiben die Häuser. Sie warten auf die Bagger.
Dort, wo seit Jahrhunderten das Dorf Immerath liegt, klafft bald nur noch ein immenses Loch.

Der Tagebau kommt.

1200 Menschen wurden umgesiedelt, zwangsenteignet.

Wir streifen durch die Gassen, ab und an begegnen wir anderen Fotografen. Touristen, Urban Explorer.

Lost Places - Immerath

„Immerather Dom“ – St. Lambertus

Um 1890 errichtet, wurde die Kirche aufgrund ihrer beeindruckenden Größe auch der „Dom von Immerath“ genannt. Gegen die Braunkohle unter ihrem Fundament war sie trotzdem machtlos.
Im Oktober 2013 fand der letzte Gottesdienst statt, anschließend wurde der Dom entweiht – sogar der Spiegel berichtete darüber.

Lost Places - Immerather Dom

Ein verlassener Bauernhof

Leerstehende Ställe, das Gewächshaus ein Gerippe.

Haus Nazareth – das Krankenhaus von Immenrath

Das ehemalige Krankenhaus von Immerath hinterlässt nicht nur deswegen einen beklemmenden Eindruck, weil sämtliche Türen und Fenster verrammelt wurden.

1901 gebaut, diente es zunächst als „Erziehungsanstalt für Epileptikerinnen“, ab 1921 dann als „Erziehungsanstalt für nicht mehr schulpflichtige Fürsorgezöglinge“. Die nationalsozialistische Ideologie zur Vernichtung „lebensunwerten“ Lebens verschonte auch Immerath nicht. Der Öffentlichkeit wurde vorgetäuscht, dass die Patienten verlegt würden, weil man kriegsbedingt Krankenhäuser benötigte. Tatsächlich wurden zwischen 1941 und 1944 aber 125 Patienten ermordet.

Lost Places - Immerath

Später wurde Haus Nazareth zum Lazarett, schließlich zum Kreiskrankenhaus, seit 2008 ist es geschlossen.

Leerstehendes Immerather Krankenhaus Haus Nazareth

Tagebau Garzweiler II

Nicht weit entfernt gähnt bereits der Abgrund.
Unfassbare Mengen Erde und Sand werden weggeschafft, um die begehrten dunklen Schichten zu erreichen… Braunkohleflöze.

Garzweiler II frisst sich immer weiter; eine surreale, postapokalyptische Landschaft.

14 Ortschaften wurden bereits umgesiedelt und ausgelöscht, 3 werden aktuell geräumt, 4 stehen noch aus.

Bis 2017 soll von Immerath nichts mehr übrig sein.

Tagebau Garzweiler II

37 Kommentare zu „Lost Places – Geisterdorf Immerath“

  1. Hallo Anne,
    sehr beeindruckende Bilder. Sie machen mich sehr nachdenklich, da sie die Ignoranz der Menschen zu der Natur und auch zu den Menschen zeigen.
    Super Arbeit

    LG Sabine

  2. Larissa//No Robots Magazine

    Wow, das ist ja spannend (und traurig). Aber es ist ja nicht nur der Tagebau, der die Orte umbringt. Es gibt ja mittlerweile ziemlich viele Orte, in denen Häuser leerstehen. Und wenn es keinen großen gesellschaftlichen Wandel gibt, werden diese Dörfer auch nach und nach aussterben.

  3. Das sind klasse Bilder von einer erschreckenden Szenerie. Eigentlich ist es kaum vorstellbar, das man sein Heim verlassen muss, wo man vielleicht Jahrzehnte gelebt hat, und weiß, das dieses restlos vernichtet wird.

    LG Thomas

  4. Irgendwie gruselig und unvorstellbar, dass dort ganze Städte zwangsumgesiedelt werden. Die Menschen tun mir leid, deren Zuhause bald nicht mehr existiert, wie ausgelöscht. Es muss ein bekemmendes Gefühl sein, dort umherzulaufen und Bilder zu machen.

    Liebe Grüße,
    Susi

  5. Gruselig :O
    Aber solche Lost Places möchte ich auch unbedingt mal besuchen, um die Stimmung, die die Fotos vermitteln mal wirklich zu erleben. So ein leerstehendes Dorf ist für mich irgendwie unvorstellbar…
    Hier bei mir in der Gegend gibt es eine leerstehende Psychatrie, in der Freunde mal einen Cache gesucht haben. Das fand ich schon ohne Bilder, nur aus Erzählungen, super spannend.

    Irgendwie skurril, aber ich steh drauf. Auf Nervenkitzel und Gänsehaut und Mythen 🙂

    Danke für die Bilder und liebe Grüße!

  6. Wow, beklemmende Bilder.

    In China gehören Zwangsumsiedlungen ja zur Tagesordnung und ich war auch schon an einigen kurz vor dem Abriss stehenden Orten. Die Atmosphäre ist wirklich komisch dort, wenn alle Leute weg sind, alles leer steht und nur noch zurückgelassene Sachen rumliegen, die keiner mehr wollte. Vor allem, wenn man weiß, wie lebhaft der Ort früher einmal war …

    Dass in Deutschland auch so viele komplette Dörfer plattgemacht werden, habe ich gar nie richtig mitbekommen. Ist ja auch einfacher mit dem Finger auf andere Länder zu zeigen 😉

    LG
    Shaoshi

  7. Das macht mich traurig 🙁 Dass Menschen ihre Heimat aufgeben müssen und keine Möglichkeit haben, jemals an der Ort ihrer Kindheit, Jugend, ihres Lebens zurückzukehren. Ist es das wirklich wert…?

  8. Pingback: Stadt im Wandel – Wie fühlt sich das an? | Shaoshi in Shanghai

  9. Ich bin gerade total sprachlos. Ich hätte mir ehrlich gesagt niemals vorstellen können, dass man heutzutage noch ganze Dörfer zwangsumsiedeln kann, nur um sie dann abzureißen. In der Nazi-Zeit für Bauprojekte, ja. In der Zeit der DDR, weil die Dörfer zu dicht an der innerdeutschen Grenze war, ja. Aus dieser Zeit kenne ich mehrere Dörfer, die es nicht mehr gibt, an die nur noch Gedenktafeln erinnern. Aber hier eine ganze Stadt? Erschreckend!

    Schlimm, dass Profit scheinbar alles ist. An den einzelnen Menschen, der dort lebte, gerne lebte, wird nicht gedacht. Heimatlos ist das Wort, welches mir die ganze Zeit im Kopf rumspukt.

  10. wow, ihr habt tatsächlich geisterdörfer in deutschland? unglaublich toll und die stimmung, die du eingefangen hast, ist beeindruckend und beklemmend. wundervolle bilder!

  11. Das ist wirklich beeindruckend. Irgendwie denkt man bei Geisterdörfern immer an „seit 19xx verlassen“, aber das tatsächlich im aktuellen Jahrtausend zu sehen .. wow! Schon befremdlich, wenn man sich vorstellt, dass das alles in ein paar Jahren nicht mehr da stehen soll?

    1. Jap, das ist schon ein komischer Gedanke. In ganz wenigen Häusern leben tatsächlich noch Menschen, die ihre Heimat nicht aufgeben wollen, bevor sie es nicht wirklich müssen… schon heftig.

  12. Solche Bilder machen mich auch betroffen, da in meiner Heimat Niederlausitz auch noch solche Umsiedelungen und Dorfvernichtungen stattfinden sollen um Tagebaugebiete auszuweiten… In Zeiten der Energiewende kann ich darüber nur mit dem Kopf schütteln.
    Du hast die Stimmung bildlich gut festgehalten.
    Liebe Grüße
    Melly

  13. Ich finde Lost Places allgemein immer etwas gruselig (auch wenn ich es liebe sie zu erkunden). Aber so ein ganzes Dorf oder Stadt muß noch gruseliger sein. Ich habe über diese Stadt mal einen Bericht im TV gesehen und fands schlimm für die Einwohner dort…
    Die Stimmung die Du mit dem Bericht und den Fotos widergibst ist auf jeden fall passend und gefällt mir sehr!

  14. Wirklich wunderschöne Bilder! Sie spiegeln diese Leere sehr gut wieder. Wie sehr mich die Einstellung der Energiekonzerne ank*** mag ich gar nicht sagen. Danke für diese tollen Bilder. Eine nachhaltige Erinnerung.
    Liebe Grüße,
    Caro

  15. Wow, gleich ein ganzes Geisterdorf habe ich noch nie gesehen. Beeindruckend, auch beeindruckende Bilder. Ich finde Lost Places immer toll und war selbst schon in einer alten Chemiefabrik. Bald bin ich mobil mit eigenem Auto, dann möchte ich noch viel mehr solche Orte entdecken. Bei „meiner“ Chemiefabrik lagen sogar noch Ampullen rum, Gerätschaften schufen Frankenstein-Atmosphäre und es war sehr, sehr unheimlich. Aber toll.

    Lieben Gruß, Isabelle

  16. Wirklich traurige Bilder. Ich habe schon einige richtige Geisterstädte und -dörfer gesehen aber aus DEM Grund das alles zu zerstören ist echt unfassbar …

  17. Ja, Geisterdörfer sind schon merkwürdig.
    Bevor Pier abgebaggert wurde, bin ich dort auch häufiger durchgefahren. In Immerath war ich noch nicht. Aktuell lebe ich in einem durch den Tagebau Garzweiler umgesiedelten Ort. Als Zugezogene ist es ein Ort wie alle anderen, aber die älteren Menschen erzählen immer noch von ihrem alten Heimatdorf.
    Das ist irgendwie gruselig und traurig zugleich.

    Deine Fotos haben die Stimmung gut eingefangen.

  18. Tolle Reportage mit schönen Bildern. Ich liebe sowas. Ich hatte deinen Post lange in meinen Lesezeichen und haben ich jetzt wieder ausgegraben, weil ich mir die Stadt selbst in der zweiten Osterwoche anschauen möchte. Glaubst du das lohnt sich noch oder sind die schon am abreißen? Konnte darüber keine Infos im Netz finden.
    Grüße aus Hessen. Jörg.

    1. Merci! Gute Frage, ob die Häuser noch stehen. Ich war seitdem auch nicht mehr in der Ecke… aber auch wenn der Abriss schon im Gange sein sollte, ergeben sich da bestimmt noch starke Motive.

      1. Die Häuser stehen noch. Ich war heute da. Schauerliche Atmosphare.
        Allerdings wird mit dem Abriss vom Haus Nazareth am Montag den 28.9.2015 begonnen. Das haben Bauarbeiter berichtet.

        Wann die anderen Häuser abgerissen werden, weiß ich nicht. Bei einigen wenigen stehen sogar die Türen auf.

        1. Das komplette alte Kloster und das Krankenhaus sind dem Erben gleich gemacht. Als Betroffenem, der in diesem Dorf von seiner Geburt in eben diesem Krankenhaus an gelebt hat, und 2011 dort „vertrieben“ wurde, tut es mir jedesmal in der Seele weh wenn ich Bilder von Immerath sehe, oder ab und an noch mal durch den Ort fahre und erkennen muss, dass es immer weniger Häuser und Gebäude gibt. Alle Kommentare auf dieser Seite sind vollkommen richtig! Im Krankenhaus geboren, in die Immera ther Schule gegangen, auf dem Sportplatz im Verein Fußball gespielt usw. ALLE Orte dieser Kindheitserinnerungen wird es demnächst nicht mehr geben. Eine funktionierende Dorfgemeinschaft mit vielen Vereinen kaputt gemacht. Für ein wenig Braunkohle , die eigentlich keiner mehr braucht. Wenn ihr wüsstet, was den Menschen Anfang 1980 alles versprochen wurde, was nicht eingehalten wurde. Selbst der Belegschaft von Rheinbraun, (jetzt RWE Power ) wurde der Erhalt von zig tausend Arbeitsplätzen versprochen, die heute schon lange abgebaut wurden. Vertreibung, Vernichtung und Verrat an Bürgern und Belegschaft, so kann man das ganze Szenario zusammenfassen. Ich jedenfalls würde heute noch dort wohnen, wenn man mich gelassen hätte! Jörg

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