Seit rund 3 Wochen habe ich jetzt meinen neuen Aktivrollstuhl: wie ist das so?
Nach über 6 Monaten Papierkram und Bürokratie war es Ende Juli endlich soweit: der Rolli stand endlich zur Abholung im Sanitätshaus bereit!
Nach all den Selbstzweifeln, der Ablehnung und dem zermürbenden Warten war ich unglaublich aufgeregt.
Der Rolli ist da!
Ein paar Tage, nachdem das Sanitätshaus wegen der fehlenden Kippschutzräder angerufen hatte, erhielt ich einen Rückruf: der Rollstuhl war fertig zur Abholung! Gleich am nächsten Nachmittag konnte ich hin – am 25. Juli.
Ich war soooo erleichtert!! Und natürlich auch mächtig aufgeregt. Meine beste Freundin kam mit zum Abholen.
Tatsächlich hatte man im Sanitätshaus gezaubert und es geschafft, dass der Rolli mitsamt Antriebsrädern (und Kippschutzrädern) fertig vor mir stand! 🤩 Yay!!!
Der Abholtermin
Wie auch schon bei den vergangenen Terminen, nahm man sich viel Zeit für mich. Erstmal wurde ich gefragt, ob die Steuereinheit für den Antrieb links oder rechts verbaut werden solle, die wurde denn auch gleich montiert.
Dann durfte ich nochmal eine Probefahrt drinnen im Verkaufsraum sowie draußen auf dem Parkplatz und Testgelände unternehmen, wo diesmal dann auch kein Schnee mehr auf den Rampen lag. 😅
Ich habe nochmal viele Infos bekommen, einen ganzen Stapel Papierkram und Bedienungsanleitungen und dann half uns der Berater auch beim Verladen ins Auto. Das geht eigentlich relativ simpel: die beiden Räder nimmt man ab, indem man auf einen Knopf in der Mitte drückt und die Arretierung löst. Anschließend klappt man die Kippschutzräder ein, klappt die Rückenlehne auf den Sitz – fertig.
Wir waren mit dem Golf meiner Freundin da und dort passen der Rollstuhl und beide Räder in den Kofferraum. Bei meinem Skoda muss ich ein Rad hinter den Fahrersitz stellen, das geht aber auch.
Zusätzlich zu den Rädern mit dem Antrieb bekam ich auch die normalen Räder mit. Da die Räder einfach durch ein Stecksystem ausgewechselt werden, kann ich dadurch auch ohne den Antrieb fahren und habe dann deutlich weniger Gewicht zu bewegen – die Räder mit dem Antrieb wiegen nämlich ganz schön viel.
Bei den normalen Rädern müssen aber noch andere Steckachsen nachbestellt werden, die kann ich in einigen Wochen abholen. Das ist aber nicht schlimm – viel wichtiger ist ja, dass ich mit dem Antrieb fahren kann.
Der Rolli braucht einen Namen!
Natürlich brauchte der Neuzugang erstmal einen Namen. Der Arbeitstitel „Tiger 2.0″ war ja doch irgendwie etwas einfallslos.
Ta-daa: die Flitzpiepe! 😅
Flitzen tut der Rolli ja, aber einfach „Flitzer“ fand ich in Anbetracht der Assoziationen mit Fußballplätzen etwas doof. Flitzpiepe ist viel besser – ich nehm mich selber ja auch nicht ganz so ernst. 😆
Wie schaut die Flitzpiepe denn nun aus?
Voilà:

Das Modell ist der Progeo Joker in Metallic Rot. Bei unserer Namensgebung stand auch kurz „Ferrari“ zur Debatte, was nicht ganz abwegig gewesen wäre: Progeo ist ein italienischer Rollstuhlhersteller. 2021 wurde Progeo vom schwedischen Permobil übernommen.
Die graue „Scheibe“ in der Mitte der Räder ist der Antrieb, der e-motion DuoDrive von Alber. Auf Stufe 1 und 2 unterstützt der beim Bewegen der Reifen, sodass ich weniger Kraft brauche. Auf Stufe 3 fährt der Rolli damit ganz von alleine, dann muss ich über die Greifreifen nur noch lenken.
Was sehr cool ist: auf Stufe 3 kann ich einstellen, wie schnell ich fahren möchte (maximal 6 km/h). Die eingestellte Geschwindigkeit behält der Rolli dann auch beim Bergabfahren bei, weil der Antrieb dann bremst – das hat sich als sooo hilfreich erwiesen! Über die Greifreifen zu bremsen, erfordert nämlich relativ viel Kraft in den Händen und dann verkrampfen mir gerne mal die Finger.
Wie sensibel der Antrieb reagieren soll, kann man übrigens über eine App einstellen. Ich habe das Fahrprofil jetzt erstmal beim Standard belassen, man kann das aber auch noch justieren.
Der Akku hält dabei echt lange. Wenn ich mich recht entsinne, auf Stufe 2 bis zu 20km und auf Stufe 3 um die 12km. Die Räder sowie die Steuereinheit zeigen über LED-Streifen an, wie voll sie noch sind.
Die ersten Fahrten
Praxistest im Supermarkt
Gleich nach dem Abholen legten wir einen Zwischenstopp bei Kaufland ein. Das Ausladen und Zusammenstecken des Rollis klappte soweit gut.
Da der Parkplatz und Laden flach waren, entschied ich mich, erstmal ohne Antrieb zu fahren. Ich hatte nämlich etwas Sorge, das mit dem Lenken beim Antrieb noch nicht exakt genug hinzubekommen und möglicherweise schwungvoll in irgendeinen Aufsteller zu rauschen. 😅
Wenn man den Antrieb eingeschaltet hat und die Greifreifen nach vorne bewegt, gibt es da halt so einen gewissen Extraschubs – das macht das Lenken erstmal etwas gewöhnungsbedürftig.

Die Räder mit dem Antrieb sind relativ schwer, wodurch die Flitzpiepe damit nicht weniger wiegt als der Tiger. Aber trotzdem funktioniert das Fahren selbst mit ausgeschaltetem Antrieb wirklich verdammt gut! Die ganze Bauweise und Sitzposition ist ja eine andere – der Rolli ist dadurch viel leichtgängiger und wendiger und ich fühle mich damit deutlich aktiver und selbstbestimmer.
Generell lässt sich die Flitzpiepe sooo viel besser fahren! Yay! Das war echt mega und ich genoss es, mal ganz ohne Schmerzen und Erschöpfung durch so einen weitläufigen Supermarkt flanieren zu können. 😍
Schon bei dieser ersten Fahrt wurde mir klar: Alle Kämpfe mit der Krankenkasse haben sich gelohnt! 💪
Kirmes-Premiere
Am nächsten Abend fand im Nachbardorf eine Kirmes statt. Das ist das Örtchen, wo wir auch auf dem winzigen Karnevalsumzug mitgelaufen sind – entsprechend dimensioniert war auch die Kirmes: 1 Bierstand, 1 Burger-Pommes-Bratwurststand, 1 Cocktailstand, 1 Schießbude und 1 (abends schon geschlossenes) Kinderkarussell, fertig. 😀
Da war klar, dass es keine Sitzgelegenheiten gibt und ich ohne den Rolli ziemlich bald ziemlich durch gewesen wäre.
Ich bin ehrlich: ich war supernervös. Ich war ja noch nicht sonderlich oft mit dem Rollstuhl hier in der Gegend unterwegs und hatte Magenschmerzen, wie viele Bekannte wir auf der Kirmes wohl treffen würden und wie oft ich Rede und Antwort stehen müsste.
Theoretisch zu wissen, dass jemand MS hat und ihn ab und an mal etwas weniger fit zu sehen, ist halt ein anderer Schnack, als wenn man dann plötzlich im Rolli aufkreuzt. Aber gut. Irgendwann musste ich das ja hinter mich bringen.
Tatsächlich war es gar nicht so wild – wir trafen eine Bekannte aus dem Stall, die natürlich erstaunt guckte, aber als ich sagte dass ich ja MS habe und deswegen nicht so lange stehen kann und dass insbesondere gegen Abend die Luft raus ist, war das Thema auch schon abgehakt. Puh!
Die Security am Eingang hat mich auf die Leuchtanzeige an den Antriebsrädern angesprochen und fand die megacool. 🙂 Ansonsten haben wir aber niemanden getroffen, vermutlich wetterbedingt – nach einer Stunde fing es an zu schütten und wir haben uns dann auch wieder auf den Heimweg gemacht.
Es hat erstaunlich gut funktioniert, selbst durch das Gedränge auf der Kirmes selber zu navigieren. Bisher wurde ich bei sowas ja immer geschoben. Ich habe es geschafft, niemandem in die Hacken zu fahren. 😅
Ich war aber sehr froh, dass meine Freundin vorweg ging und an der ein oder anderen Stelle jemandem auf die Schulter getippt hat, ob er bitte ein Schrittchen auf Seite gehen könne. Das stelle ich mir allein schwer vor – es war halt superlaut, sooo laut „Achtung“ brüllen kann ich nicht und wenn ich die Leute hätte antippen wollen, wäre das am Hintern gewesen. 🙈 Ich glaube, ich brauche eine LKW-Hupe. 😅
Was auf jeden Fall mega war: den Abend schmerzfrei zu genießen, ohne irgendwo in der Ecke zu sitzen oder darauf zu warten, dass mich jemand schiebt! Ich konnte dank Antrieb problemlos alleine fahren, obwohl die Straße immer mal wieder Gefälle hatte, Kabelabdeckungen quer über den Weg verliefen und ich durch das Gedränge ziemlich millimetergenau lenken musste.

In Ruhe üben
In den folgenden Tagen übte ich bei uns im Haus sowie auf einem abgelegenen und nicht allzu steilen Sträßchen zusammen mit meiner Freundin. Die schnappte sich Bonnie, sodass das Hundemädchen auch etwas von dem Ausflug hatte. 😀

Ich wollte den Antrieb halt nochmal in Ruhe ausprobieren können, ohne gleich jeder Menge Hindernisse ausweichen zu müssen. Das war auch ganz gut so.
Was ich für mich noch üben muss:
- Geduld ist nicht gerade meine Stärke. Ich muss erst die beiden Räder jeweils seperat über einen Knopfdruck einschalten, warten bis sie piepsen und leuchten, dann das Steuermodul anschalten und wiederum warten, bis sich das über Bluetooth mit den Rädern verbunden hat. Wenn ich zu ungeduldig bin und zu früh losfahren will, blinkt’s nämlich rot und das heißt dann: geh zurück auf Los, schalte nochmal alles aus und fang von vorne an. 🫠
- Auf Stufe 3 fährt der Rolli ja von alleine. Die Geschwindigkeit lässt sich dabei easypeasy über einen Drehen am Steuergerät anpassen und die wird dann auch beibehalten, wenn’s bergab geht. Aber Obacht: wenn ich beim Lenken die Greifreifen zu sehr festhalte, werten die Sensoren das als Bremsversuch – und der Antrieb schaltet plötzlich ab. Was bergab suboptimal ist. 👩🦽💨
- Das Abnehmen und Aufstecken der Räder geht eigentlich ziemlich einfach, auch mit weniger Kraft in den Fingern. Man muss da aber trotzdem den richtigen Winkel erwischen, sonst hakt es. Ist wahrscheinlich auch Übungssache.
Unabhängig davon muss ich das Fahren selber noch üben, gerade was das Kippeln / Überwinden von Bordsteinen & Co. angeht. Dazu habe ich mich im November zu einem zweiteiligen Mobilitätstraining angemeldet, in dem man erst die Basics übt und dann auch in „freier Wildbahn“ in der Stadt inklusive Zugfahren.
À propos Kippeln: Wenn ich die Antriebsräder nutze, darf ich nicht ohne Kippschutzräder fahren. Damit kann ich halt nur ziemlich begrenzt kippeln, Wheelies & Co. funkionieren damit nicht.
Möglicherweise habe ich es einmal vergessen, die Kippschutzräder nach dem Transport wieder auszuklappen und möglicherweise fährt man mit dem Antrieb bisweilen so zackig an, dass man sich, wenn man nicht aufpasst und sich beim Losfahren nicht leicht nach vorne neigt, ohne die Kippschutzräder tatsächlich hintenüber hinlatzt. Ahem. 🫠

Auf in die Stadt
Auch Ausflüge nach Siegburg, unsere Kreisstadt, und nach Bonn standen schon an. Hier bin ich zum ersten Mal längere Strecken selber auf Bürgersteigen gefahren. Die Challenge hierbei ist, das leichte Gefälle auszugleichen (die kippen zur Straße hin leicht ab, damit das Regenwasser ablaufen kann)… und natürlich um Sperrmüll, Mülltonnen und sonstiges Gedöns drumherum zu navigieren, was da gern mal den Bürgersteig versperrt. 🫠
Es hat aber echt gut funktioniert und meine laufende Begleitung seufzte ein wenig, weil wir in Siegburg nicht nur wie geplant beim Asialaden waren, sondern auch noch bei einem zweiten Asialaden (der natürlich ein Stück weit weg ist) und ich dann auch uuuunbedingt noch zum Kino runter wollte, weil ich ein Foto für das Projekt 52 brauchte. 😅
Es ist ein sehr cooles Gefühl, durch den Aktivrolli nicht mehr diejenige zu sein, die alle ausbremst… sondern umgekehrt eher mal auf die Fußgänger warten zu müssen. 😀

In Bonn waren wir im Botanischen Garten. Draußen ging das Selberfahren prima, sogar obwohl die Wege teilweise gekiest sind. Ohne den Antrieb wäre ich da wahrscheinlich ziemlich aufgeschmissen gewesen, aber so funktionierte das auf Stufe 1 echt gut.
In den Gewächshäusern habe ich dann aber doch darum gebeten, geschoben zu werden – die Wege sind da teils super eng und ich wollte weder an den Steinumrandungen der Beete entlangschrammen, noch einen der anderen Besucher über den Haufen fahren.
Auch schieben lässt sich die Flitzpiepe deutlich einfacher als der alte Rolli, berichtet meine Freundin.

Ein kleines Fazit nach den ersten 3 Wochen
Ich hab es gestern schon drüben auf Instagram erwähnt: ich bin jedesmal geflasht davon, dass ich solche Unternehmungen endlich wieder machen kann, ohne danach völlig im Eimer zu sein und mich daheim erstmal ins Bett oder aufs Sofa zu verziehen zu müssen. Das ist echt ein Riesenbatzen Lebensqualität. 🥰
Es fällt mir aber nichtsdestorotz halt immer noch nicht leicht, den Rollstuhl zu nutzen. Theoretisch könnte ich ja zu Fuß gehen. Ich will nicht faul und unfitter werden und bin immer noch nervös, wen ich im Rolli treffen könnte. Ein wenig hilft es, dass ich auf Insta und hier im Blog darüber schreibe und es relativ viele Bekannte darüber schon mitbekommen, ohne dass ich das live und in Farbe immer wieder erklären muss. 🙈
Es ist natürlich auch umständlich, immer erst den Rolli auseinanderbauen und ins Auto verfrachten zu müssen und vor Ort dann wieder zusammenzubauen (plus das gleiche Spiel auf dem Rückweg).
Aber es kommt allmählich in meinem Kopf an, dass es okay und halt auch wirklich sinnvoll ist, mir die Schmerzen zu ersparen und meine Energie für andere Dinge nutzen zu können. Ich schaue gerade, wo diese Linie verläuft – wo sich der Aufwand für den Transport lohnt und was mit dem Rolli einfach besser machbar ist. Eine kurze Runde durch den Aldi kriege ich so hin und im Stall funktioniert es mit dem Rollstuhl halt nicht wirklich.
Aber für größere Einkäufe und sonstige Unternehmungen und auch zuhause nutze ich den Rolli jetzt ziemlich viel und ich merke einfach, dass ich dadurch nicht mehr so viele Auszeiten brauche und damit unterm Strich aktiver bin. 💪
Ein bisschen Rolli-Customization muss sein
Vielleicht hast du es auf den Fotos schon entdeckt: ich habe nach und nach das ein oder andere an der Flitzpiepe angepasst und dekoriert.
Das zeige ich dir die nächsten Tage nochmal in einem eigenen Beitrag. 😀
Die Kirmes klingt wie die aus dem Dorf, wo ich aufwuchs xD
Als ich deine Bilder vom Rolli und dir auf den Gehweg sah, kam mir unweigerlich der Gedanke, dass die Hamburger Gehwege das nicht hergeben würden. Also die jenseits der touristischen Gebiete. Das ist ein bisschen schade.
Also falls du mal nach Hamburg willst: kein abgelegenes Hotel buchen! 😀
Ist notiert. 😀 Tatsächlich würde ich tatsächlich gern nochmal nach Hamburg, meine Freundin kommt da ja her und wir haben regelmäßig Besuch aus Pinneberg, den wir auch gern mal alle zusammen retour besuchen würden. 😀
Hier in Halstenbek würde es auch oft sehr eng werden. Vor allem auch, wenn mal wieder jemand auf dem Fußweg parkt. Oder wenn Leute ihre Hecke so ca. auf 40% des Fußwegs rauswachsen lassen.
Oh, wie schön! Ich freue mich sehr für dich, dass du mit der Flitzpiepe so viel Lebensqualität zurück gewonnen hast.