MS akzeptieren: wie ich gelernt habe, mit Multipler Sklerose zu leben

MS akzeptieren - Multiple Sklerose

Diesen Beitrag habe ich ursprünglich im Juni 2020 verfasst, jetzt aber nochmal überarbeitet.


Ich habe ziemlich lange gebraucht, um die Multiple Sklerose als Teil meines Lebens zu akzeptieren. Über zwei Jahre hat es nach meiner Diagnose gedauert, bis dieser Knoten aus Verdrängen, Leugnen und Schämen in mir drin geplatzt ist.

Und soll ich dir was verraten? Es ist seitdem so unheimlich viel leichter geworden! Eine riesige Last ist von mir abgefallen. 🙂

Die 5 Phasen der Akzeptanz – wie ich auf meine MS-Diagnose reagierte

Es gibt da ja dieses berühmte Modell mit den 5 Phasen von der Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross. Sie hat es ursprünglich auf das Sterben bezogen – es passt aber auch generell auf die Akzeptanz traumatischer Nachrichten. Dazu gehört ein „Sie haben Multiple Sklerose!“ definitiv.

Tatsächlich habe ich jede einzelne dieser Phasen nach der Diagnose durchlaufen. Zwischendurch bin ich auch mal in eine vorherige Phase zurückgerutscht und habe eine Extrarunde gedreht… aber im Großen und Ganzen war es schon eine Entwicklung, bis ich die MS schließlich akzeptieren konnte.

Phase 1: nicht wahrhaben wollen

Direkt nach der Diagnose dachte ich, das alles sei nur ein böser Albtraum. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass mein Leben ab jetzt von einer anscheinend unheilbaren Autoimmunerkrankung bestimmt sein sollte! Dass ich auf einmal als chronisch krank galt.

Tief in mir drin war ich sicher, dass das alles ein Irrtum sein müsse.

Phase 2: wütend sein

Nach dem ersten Schock wurde ich wütend auf meinen Körper. Was in aller Welt fiel dem Ding ein, sich einfach so gegen mich zu stellen? Hallo?! Ich hatte vorher schon kein gutes Verhältnis zu meinem Körper und dass er jetzt so herumsponn und sich selbst bekämpfte, war doch echt das Letzte.

Und überhaupt, auf das Schicksal war ich auch mächtig sauer. Habe ich nicht schon genug Mist am Hacken, muss da jetzt echt auch noch MS dazukommen?! Warum ich?

Phase 3: verhandeln mit dem Schicksal

Okay, dachte ich mir irgendwann. Dann habe ich also MS. Aber hey… so schlimm wird das bei mir sicher nicht werden, wenn ich gesund lebe, oder? Ich rauche ja schließlich nicht. Gesund ernähren tu ich mich auch, das muss doch für was nütze sein. Und wenn ich jetzt wieder anfange zu reiten und ein bisschen weniger arbeite und brav bin, dann bleibe ich von weiteren Problemen verschont, okay?

Das war für mich der erste Schritt, die MS vorsichtig zu akzeptieren. Und es war definitiv eine gute Motivation, um ein paar Dinge in meinem Leben umzukrempeln. Aber ich will ehrlich sein: nach einer Weile bin ich doch in meinen Alltagstrott Alltagsstress zurückgefallen.

Alles in allem fühlte ich mich, als würde ich die ganze Zeit ein über mir schwebendes Damoklesschwert besänftigen. Und das hat mit Selbstbestimmung herzlich wenig zu tun.

Phase 4: verzweifeln

Das war bei mir die mit Abstand langwierigste und härteste Phase. Ich fühlte mich vom Schicksal betrogen und machte mir so viele düstere Gedanken um meine Zukunft – was ich wohl wie lange noch schaffen würde.

Vor allem die Fatigue-Episoden erfüllten mich mit einem stummen Entsetzen. Darauf wiederum reagierte ich dann trotzig mit einem „jetzt erst recht“ – was mich regelmäßig über den Rand der Erschöpfung hinaus trieb.

Was die MS betraf, igelte ich mich in mir selbst ein. Ich sprach nicht darüber und schämte mich. Ich litt und investierte dabei so viel Energie in eine gesunde, unbekümmerte Maske, dass es nur noch anstrengender wurde.

Phase 5: akzeptieren

Tja… und am Ende habe ich es dann doch irgendwie geschafft, (meistens) meinen Frieden mit der MS zu schließen. Klar, ich habe ab und an einen Durchhänger. Aber es ist kein Dauerzustand mehr. Heulen, fluchen, Krönchen richten – und weiter geht’s.

Ironischerweise nimmt die MS weniger Raum in meinen Gedanken ein, seit ich sie nicht mehr mit aller Kraft wegzuschieben versuche.

Wie genau habe ich das geschafft?

Multiple Sklerose akzeptieren: was funktioniert für mich?

Wenn ich so darüber nachdenke, sind es viele kleine Puzzleteilchen. Ich brauchte eine gewisse Zeit, um die neue Situation zu verdauen und die MS zu akzeptieren.

Und ich habe meine Einstellung zu vielen Dingen verändert. Denn auch wenn MS laut Ärzten unheilbar ist und ich daran nun mal nichts ändern kann – wie ich damit umgehe, das kann ich sehr wohl beeinflussen.

Ich habe mich dran gewöhnt

Das klingt jetzt unglaublich lapidar – aber irgendwann kam der Punkt, an dem der OMG-ich-habe-MS-Ausnahmezustand zum Alltag wurde. Zugegebenermaßen habe ich die Thematik nach Möglichkeit verdrängt, aber im meinem Hinterkopf war sie ja doch immer präsent.

Irgendwie war das so ähnlich wie jetzt mit Corona: am Anfang herrschte eine riesige Panik und es gab kein anderes Gesprächsthema mehr, mittlerweile läuft für die meisten hierzulande der Alltag mehr oder weniger weiter wie immer. Man arrangiert sich.

Ich kann meinem Körper wieder vertrauen

Dass sich mein Körper plötzlich einfach so selbst angreift, hat mich extrem verunsichert. Schließlich könnte das jederzeit wieder passieren und alle möglichen Körperfunktionen erwischen.

In den ersten Wochen nach der Diagnose rechnete ich jeden Abend beim Einschlafen damit, morgens blind oder gelähmt aufzuwachen. Wie du dir vorstellen kannst, sorgte das nicht gerade für süße Träume.

Jedes kleinste Zipperlein versetzte mich in Panik – war das jetzt etwa ein neuer Schub?! Noch lange vor Corona-Zeiten machte ich einen Riesenbogen um erkältete Mitmenschen, weil meinem vorherigen Schub ja auch eine heftige Erkältung vorausgegangen war.

Aber nach und nach wurde ich wieder entspannter. Allmählich lernte ich, meinem Körper wieder zu vertrauen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er morgen noch genauso gut funktioniert wie heute, ist einfach größer als der umgekehrte Fall. Und es bringt schließlich nichts, mich verrückt zu machen.

Taube oder hyperempfindliche Stellen auf der Haut sind unangenehm – aber mehr auch nicht. Nach ein paar Tagen verschwinden sie wieder. Und selbst wenn etwas mehr kaputtgehen sollte… irgendwie werde ich damit klar kommen.

MS ist doof, aber kein Weltuntergang

Mein Leben geht weiter. Vielleicht anders, aber es könnte definitiv schlimmer kommen.

Ich habe mir klargemacht: hey, du sitzt nicht in einem abstürzenden Flugzeug mit null Chancen – du hast bloß eine Diagnose bekommen, mit der du genauso alt werden kannst wie gesunde Menschen.

Im Vergleich mit anderen chronischen Erkrankungen finde ich persönlich MS jetzt auch nicht den allerheftigsten Worst Case – es hätte schlimmer kommen können. Das setzt mein eigene Situation etwas in Relation und lässt sie weniger dramatisch erscheinen.

Ich bin nicht alleine

Daran muss ich mich selber immer wieder erinnern!

Klar – wenn der eigene Körper nicht mehr richtig mitspielt, geht es plötzlich um ganz existentielle Dinge. Mit meinem Körper bin ich letztlich alleine, ich kann ihn nicht wechseln wie einen fürchterlichen Job oder ihn einem Babysitter aufs Auge drücken, wenn mir das Theater zu bunt wird. Das ist natürlich eine sehr einsame Angelegenheit.

Das Tückische ist, dass wir uns durch Probleme oft selber isolieren und den Teufelskreis dadurch verstärken. Man verarscht sich da dann schnell selbst und sagt sich: „Allen anderen geht es gut, nur ich habe solche Probleme“.

Das ist natürlich Quark. Alleine in Deutschland gibt es laut Wikipedia um die 200.000 MS-Betroffene. Stell dir die alle mal auf einem Haufen vor… da ist man definitiv nicht alleine.

Mir hilft es, in MS-Blogs mitzulesen und anderen Betroffenen auf Instagram zu folgen.

Es ist okay, Hilfe anzunehmen

Ich habe lange dafür gebraucht, Unterstützung annehmen zu können. Oder mir überhaupt anderen gegenüber anmerken zu lassen, wenn ich etwas gerade nicht schaffe oder etwas nicht geht. Rate mal, wie oft ich schon etwas gaaaaaaanz Wichtiges auf meinem Handy lesen musste und genau deswegen irgendwo lässig angelehnt stand, solange ich mich beobachtet fühlte… weil ich einfach nicht vor anderen durch die Gegend eiern wollte.

Aber gut. Erstens will ich ja nun nicht im Supermarkt oder sonstwo Wurzeln schlagen, sondern mit meinem Kram voran kommen. Zweitens lassen sich manche Symptome irgendwann auch einfach nicht mehr kaschieren – schon gar nicht, wenn man mehr Zeit mit jemandem verbringt.

Da bin ich unheimlich dankbar, dass ich die Erfahrung machen darf: es ist okay, nicht zu funktionieren. Dafür werde ich weder ausgelacht, noch fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Und es ist okay, Hilfe anzunehmen. Dafür sind Freundschaften da. Ich gebe Dinge auf andere Weise zurück.

Ich konzentriere mich auf das, was geht

… und nicht auf das, was nicht (mehr) funktioniert.

An blöden Tagen habe ich beispielsweise einen Knoten in der Zunge. Dann muss ich mich echt darauf konzentrieren, was ich sagen will. Das geht natürlich nicht so gut in Diskussionen, wo es auf Spontaneität ankommt.

Dann habe ich die Wahl:

  • Ich kann schweigen und meine Ideen für mich behalten. 🤐
  • Ich kann mich fertigmachen und mich darüber ärgern, dass ich mich so oft verhaspele. Mir in den schillerndsten Farben ausmalen, was die Kollegen bloß von mir denken müssen. 😱
  • Oder ich nehme meine Versprecher mit einem Schulterzucken hin und höre das, was die Kollegen daraufhin tatsächlich sagen: „Good point!“, sie steigen auf mein Argument ein und ich habe das Thema damit entschieden vorangebracht. Egal wie holperig ich es ausgesprochen habe. 😎

Ich glaube, oft achtet man selber eh viel mehr auf solche Dinge als das Gegenüber und macht aus einer Mücke einen Elefanten.

Ich verliere nicht meinen Humor 🙂

… und wenn’s Galgenhumor ist. 🤪

Ich nehme mich selber oft nicht so ernst und das hilft mir, auch mit den doofen Seiten der MS umzugehen.

Der Zeichner Phil Hubbe, der selber MS hat, veröffentlicht sogar Cartoons über MS. Definitiv erheiternd. 😄

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