Rollstuhl ist nicht gleich Rollstuhl: Standard- vs. Adaptivrollstuhl

Standard- vs. Adaptivrollstuhl: Unterschiede

Ich habe endlich meinen neuen Adaptivrollstuhl bekommen! 🤩 In einer kleinen Artikelserie nehme ich dich mit auf den (laaangen) Weg dorthin und du erfährst, was ich dabei so alles gelernt habe.

Dieser Beitrag macht den Auftakt. Hätte ich das alles in einen einzigen Artikel gepackt, wäre der nämlich deutlich zu lang geworden. 😅

Das Problem mit meinem bisherigen Rollstuhl: zu schwer zu fahren

Seit gut anderthalb Jahren nutze ich für Ausflüge & Co. ja einen Rollstuhl. Den hatte ich mir damals selbst gekauft, weil ich keine Kraft für einen monatelangen Bürokratieakt mit der Krankenkasse hatte. Durch diesen fahrbaren Untersatz, der bei uns nur „der Tiescher“ heißt (weil hinten „Tiger“ draufsteht 😀), kann ich tatsächlich Museumsbesuche, Einkaufsbummel, Zoos, Konzerte & Co. erleben, ohne massive Schmerzen zu haben oder ganz abbrechen zu müssen.

Mit dem Rolli in Bonn
Mit dem Tiescher in Bonn

Aber eine Crux hat der gute Tiescher: er ist viel zu schwer zum Selberfahren.

Innerhalb von Gebäuden kann ich mit dem Tiger soweit gut selber fahren, wenn der Boden eben und glatt ist. Aber Bürgersteige (die oft übrigens ganz leicht abschüssig sind zur Straße hin, damit das Regenwasser abläuft – merkt man so als Fußgänger ja kaum), geschotterte Wege oder auch nur minimale Anstiege sind ein Kampf und ich bin nach wenigen Metern völlig im Eimer – Sturheit hin, Sturheit her.

Dabei würde ich echt gern selber fahren, geschoben werden fühlt sich oft nämlich blöd und passiv an. Im Alltag jenseits von Ausflügen half mir der Rolli daher nicht so wirklich.

Rollstuhl ist nicht gleich Rollstuhl

Anfangs wusste ich nicht, dass es da so große Unterschiede gibt in Sachen Rollstuhlmodelle. Ich suchte den „Fehler“ bei mir, weil ich es nicht mal hinbekam, kurze Stücke draußen selber zu fahren. Sooo unfit bin ich trotz allem ja eigentlich gar nicht. Stellte ich mich einfach zu doof an? War ich mit meiner Mischung aus MS und verkorkstem Rücken ungeeignet zum selbstständigen Fahren?!

Ich fasste mir ein Herz und schrieb Christian von Rollstuhlfahren für Anfänger an. Auf seiner Webseite und seinem Instagram-Account teilt er megaviel hilfreiches Wissen rund ums Rollstuhlfahren, und das mit einer charmanten Mischung aus Pragmatismus und Humor.

Ich schilderte Christian mein Problem und er meinte direkt: na klar! Es liegt am Modell!
Der Tiescher nennt sich zwar Leichtgewichtsrollstuhl. Aber das ist kein Vergleich zu einem adaptiven Aktivrollstuhl – der wiegt allein 10-11kg weniger, ist wendiger und man sitzt darin auch ganz anders, eben damit man aktiv selber fahren kann. Ach was!

Beratung im Sanitätshaus

Mein Hausarzt unterstützte mich und sagte direkt, dass er mir eine entsprechende Verordnung ausstellen würde. Ich solle mich im Sanitätshaus beraten lassen und ihm mitteilen, was genau auf der Verordnung draufstehen müsse. Würde er einfach „Rollstuhl“ draufschreiben, würde die Krankenkasse daraus natürlich erstmal ein simples Oma-Gurkenmodell machen, also quasi noch schlimmer als den Tiger.

Mitte November 2024 hatte ich meinen ersten Termin im Sanitätshaus.

Vorab hatte ich mit einer netten Beraterin schon ziemlich ausführlich telefoniert. Durch das Telefonat und dadurch, dass ich hier 2023 auch schon wegen der Orthese war, waren viele Infos über meine Herausforderungen schon bekannt und ich musste nicht nochmal alles von vorn erzählen.

À propos Sanitätshaus: wir haben hier im Ort ein kleines Sanitätshaus. Da gehe ich gern hin, wenn ich etwas „von der Stange“ brauche wie beispielsweise die Lagerungsschiene für meine Hand. Das ist dort zwar nicht vorrätig, kann aber bestellt werden. Support your local business und so.
Für meine maßgefertigte Orthese und auch jetzt für den Rollstuhl fahre ich aber lieber ein Stück weiter in eine nahegelegene Stadt zu einem sehr großen Sanitätshaus. Das hat verschiedene Niederlassungen und ist einfach ganz anders aufgestellt. Für den Rollstuhltermin war ich in einer mir bis dato noch nicht bekannten Niederlassung namens rehacampus, wo es eine Unmenge an verschiedensten Rollstuhlmodellen gibt.

Adaptivrollstuhl vs Standard-Rollstuhl: die Unterschiede

Der Berater erklärte mir erst einmal die grundsätzlichen Unterschiede zwischen den Rollstuhltypen.

Die verschiedenen Rollstuhlmodelle

Standardrollstühle haben ein Eigengewicht von etwa 20kg und sind hauptsächlich dafür gedacht, dass der Nutzer über kürzere Strecken darin geschoben wird. Selbständiges Fahren außerhalb der Wohnung ist damit kaum möglich.

Leichtgewicht-Standardrollstühle sind mit 13-18kg etwas leichter und haben mehr Einstellmöglichkeiten. Sie bestehen meist aus einem faltbaren Rohrrahmen – so ein Modell ist der Tiescher. Auch hier ist das Selberfahren nur sehr bedingt möglich.

Adaptivrollstühle (früher auch Aktivrollstühle genannt) können aktiv selbst gefahren werden und ermöglichen einem dadurch viel mehr Unabhängigkeit.
Alle Komponenten sind individuell anpassbar – von der Sitzbreite über den Sitzwinkel bis hin zur Rückenlehne. Adaptivrollstühle sehen auch anders aus als „klassische“ Modelle: die Rückenlehne ist niedriger, sie haben meist keine Armlehnen und man sitzt darin gerader und weniger passiv, d.h. die Unterschenkel sind beispielsweise nicht so nach vorne geneigt.

Man muss dazu sagen, dass Adaptivrollstühle deutlich teurer sind als Standardrollstühle. Für den Tiger habe ich damals etwas über 400€ bezahlt. Bei einem Adaptivrollstuhl liegt man locker bei einem mittleren vierstelligen Betrag – ohne Unterstützung durch die Krankenkasse also ziemlich unerschwinglich.

Das Material macht den Unterschied

Der Rahmen eines Rollstuhls wirkt sich natürlich ebenfalls auf das Gewicht aus. Er besteht häufig aus Aluminium, Carbon oder anderen Leichtmaterialien. Einige Modelle können dadurch auf ein Maximalgewicht von nur 7kg kommen! Das erklärt, warum mein Tiger mit seinen geschätzten 18-20kg sich so behäbig anfühlt.

Faltrahmen oder Starrrahmen – was ist besser?

Faltrollstühle wie mein Tiger kann man zum Transport in der Mitte zusammenfalten. Damit werden sie relativ flach, und wenn man dann noch die Fußstützen abklappt, passt das Ganze in den Kofferraum. Allerdings geht dieser Faltmechanismus zu Lasten der Fahreigenschaften und wiegt auch einiges.

Starrrahmenrollstühle sind leichter und fahren sich auch besser. Auch die bekommt man im Auto verstaut, weil man die Reifen abnehmen und die Lehne auf den Sitz klappen kann. Ein Starrrahmen-Modell fährt sich besser, da die Kraftübertragung zum Antrieb des Rollstuhls direkt erfolgt und er eine höhere Stabilität aufweist.

Da ja das Gewicht und die Fahrtauglichkeit für mich ein wichtiges Kriterium sind, würde es also ein Starrrahmen werden.

Das Fußbrett macht den Unterschied

Ein weiterer Aspekt, der die Fahreigenschaft beeinflusst, ist das Fußbrett. Beim Tiger sind das zwei Stützen, die man nach links und rechts wegklappen kann. Damit steht man wie von einem normalen Stuhl auf.

Alternativ dazu gibt es ein festes Fußbrett. Das macht den Rollstuhl nochmal leichter und wendiger, setzt allerdings voraus, dass man sich beim Ein- und Aussteigen geschickt genug koordiniert bekommt und nicht auf die Nase legt. 🤪 Das bekomme ich hin.

Mein erstes Probefahren mit einem Adaptivrollstuhl

Zwei verschiedene Modelle durfte ich probesitzen bzw. probefahren. Bei beiden war direkt klar: das ist ein ganz anderer Schnack als der Tiger! Es sitzt sich darin deutlich besser und ich kann damit viel besser fahren.

Aktivrollstuhl testen im Sanitätshaus
Aktivrollstuhl testen im Sanitätshaus

Anfangs war ich skeptisch, ob mir so eine kurze Rückenlehne genügend Stabilität geben würde; mir geht ja manchmal die Kraft aus, mich aufrecht zu halten. Aber die Lehne unterstützt so geschickt im unteren Bereich, dass das tatsächlich echt gut funktioniert.

Die Sitzbreite ist auch nochmal schmaler und alles in allem war das so ähnlich wie der Unterschied zwischen einem behäbigen Hollandrad und einem Rennrad. Ich bin ja früher Rennrad gefahren und weiß noch, wie ungewohnt wenig Fahrrad das am Anfang unter mir war – und am Ende konnte ich mir nicht mehr vorstellen, jemals wieder freiwillig mit so einem klobigen Standardgefährt unterwegs zu sein.

Rollstuhl mit Antrieb: ein Gamechanger

Ich war schon total geflasht – und dann setzte der Berater nochmal einen obendrauf! 😀

Bei dem zweiten Rolli, den ich probefahren durfte, drückte er nämlich auf einen kleinen Regler neben meinem Knie, der mir gar nicht weiter aufgefallen war. „Fahr jetzt mal!“ – und wooow, auf einmal ging das noch viel leichter! 👩‍🦽💨

Da war nämlich ein Antrieb verbaut, der auf drei Stufen reguliert werden kann, der e-motion Duo Drive. Zwei Stufen unterstützen einen mit unterschiedlich viel Schub, wenn man selber fährt, und auf der dritten Stufe fährt der Rolli sogar ganz von alleine. Mega! Man lenkt dabei ganz normal mit den Greifreifen und wenn man sie festhält, stoppt der Antrieb.

Wie funktioniert das? In den Radnaben der Antriebsräder befindet sich ein Motor. Der Rollstuhl wird wie ein klassischer manueller Rollstuhl über die Greifreifen bewegt und gelenkt. Sensoren melden dabei die Kraft und geben die Messungen an die Elektronik weiter, welche den Antriebsmotor dann entsprechend ansteuert.

(An dieser Stelle möchte ich übrigens betonen, wie stolz ich auf mich bin, nix über den Haufen gefahren zu haben. 😅)

Gerade, da wir ja recht hügelig wohnen, wäre so ein Rollstuhl mit Motor natürlich echt unglaublich hilfreich. Ich will ja so viel wie möglich selber machen und definitiv nicht völlig passiv fahren, aber letzten Endes geht es ja gerade darum, dass ich meine Kraftreserven spare für das, was mir wichtig ist.

Das Coole an dieser sogenannten Restkraftunterstützung ist, dass sie nicht so sperrig ist wie die Zuggeräte, die man vorne am Rollstuhl montieren kann – und ich kann flexibel entscheiden, wann ich manuell fahre und wann ich mir wie viel Unterstützung dazuhole.

Das wäre also echt ein Träumchen! 🤩

Wie geht’s weiter?

Ich bekam einen dicken Packen Unterlagen, unter anderem zwei Vorlagen für meinen Arzt, was genau auf der Verordnung draufstehen solle:

  • 1x Adaptivstarrrahmenstuhl nach Maß mit medizinisch notwendigem Zubehör
  • 1x Restkraftantrieb mit Permanentfahrfunktion inkl. Halterung für den Aktivrollstuhl

Da ich zum 1.1. die Krankenkasse gewechselt habe, vereinbarte ich einen Arzttermin für Anfang Januar, um die Verordnungen ausstellen zu lassen, und auch direkt den nächsten Termin im Sanitätshaus für Mitte Januar.

Im nächsten Artikel erzähle ich dir, wie die Geschichte weiterging und von meinem Weg durch den Genehmigungsdschungel der Krankenkasse – Spoiler: das war ein ziemlicher Akt, der sechseinhalb Monate gedauert hat. 🤯

Falls du dich also fragst, warum dein Rollstuhl so schwer zu fahren ist oder warum selbstständiges Fahren draußen nicht klappt – es könnte am Rollstuhlmodell liegen! Ein Beratungstermin im Sanitätshaus kostet nichts und kann dir wirklich die Augen öffnen.

2 Kommentare zu „Rollstuhl ist nicht gleich Rollstuhl: Standard- vs. Adaptivrollstuhl“

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