Welt-MS-Tag 2024: „Diagnose MS: Mit Mut und Stärke leben lernen“

Welt-MS-Tag 2024: Mit Mut und Stärke leben lernen

Jedes Jahr findet am 30. Mai der Welt-MS-Tag statt, um auf die Erkrankung aufmerksam zu machen.

Wie immer gibt es ein von der MS International Federation (MSIF) ausgewähltes internationales Thema, das dann in den einzelnen Ländern bzw. Sprachen leicht angepasst wird.

Das Oberthema für den Welt-MS-Tag 2024 und 2025 lautet „Diagnose“. Die internationale Kampagne heißt dieses Jahr „My MS Diagnosis: navigating MS together“; die von der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) ausgewählte deutsche Version spielt mal wieder ein bisschen mit den Buchstaben: „Diagnose MS: Mit Mut und Stärke leben lernen“.

Meine erste Reaktion auf dieses Motto

Ich bin ehrlich: als ich den Slogan „Diagnose MS: Mit Mut und Stärke leben lernen“ zum ersten Mal las, habe ich die Augenbrauen hochgezogen.
Denn das schrammt schon stark in Richtung Klischeekiste: wer chronisch krank oder behindert ist, der ist in den Medien ja ganz schnell das bewundernswerte Vorbild, das trotz aller Entbehrungen ach so tapfer und stark sein Schicksal meistert und dabei auch immer noch sooo lebensfroh ist… 🙄

Spoiler: das ist ganz, ganz viel Bullshit. An dieser Stelle ein Lesetipp: Tapferkeit, Leid und Heldentum: Klischees in den Medien

Mit dir ist absolut nichts falsch, wenn du nach deiner MS-Diagnose alles Mögliche fühlst, aber definitiv nicht Mut und Stärke.
Du wirst lernen, mit der MS zu leben. Ein verflucht gutes Leben! Du wirst nicht all deine Träume und Pläne an den Nagel hängen müssen und du wirst auch deine Zuversicht wiederfinden – versprochen. Aber das braucht Zeit. Und, was für mich damals ganz wichtig war und immer noch ist: das Gefühl und das Wissen, damit nicht alleine zu sein. Es gibt da draußen so wahnsinnig viele andere Betroffene und jede und jeder Einzelne hat ähnliches durchgemacht wie du gerade. Erfahrungsberichte helfen. Austausch darüber, was anderen hilft. Wie andere mit der Diagnose und der Erkrankung umgehen und was sie dadurch gelernt haben.

Von daher finde ich das Motto dann letztlich doch nicht verkehrt.
Mit diesem Artikel möchte ich, wie mit all meinen Beiträgen zum Thema Multiple Sklerose, ein Stück weit über die Erkrankung aufklären und andere Betroffene unterstützen.

Wie verlierst du nach der MS-Diagnose nicht den Mut?

Mich traf die Diagnose damals 2017 aus heiterem Himmel. Rückblickend hatte ich zwar auch schon in den vorherigen Jahren immer wieder MS-Symptome gehabt, die aber ehrlicherweise nicht allzu ernst genommen („kommt von alleine, geht von alleine“) und erst recht nicht mit einer Erkrankung wie MS in Verbindung gebracht. Selbst als mich meine Hausärztin dann ins Krankenhaus schickte, weil ich alles doppelt sah, erklärte ich mir das mit einer Nebenwirkung einer wochenlang verschleppten Erkältung.

Daher war ich null vorbereitet, als mir der Neurologe nach einigen Tagen im Krankenhaus die Diagnose mitteilte, einen dicken Stapel Infobroschüren verschiedener Pharma-Hersteller aufs Bett packte („Entscheiden Sie sich für ein Medikament für die Basistherapie“) und wieder ging. 😵‍💫

Ich habe dann erstmal meinen Mann angerufen, danach meine Mama und dann… geweint, weil ich mich total wie im falschen Film fühlte. Ich hatte null Ahnung von MS und wusste nur, dass ein ehemaliger Nachbar meiner Eltern deswegen jahrelang quasi bewegungslos in einem Pflegebett im Wohnzimmer gelegen hatte, bis er relativ jung gestorben ist. Urgh. Das sollte bald mein Leben sein?! 😭

Ich finde es richtig, richtig gut, dass in den letzten Jahren mehr über Multiple Sklerose berichtet wird und einfach mehr aufgeklärt wird. Das hätte mir in dem Moment und den folgenden Tagen und Wochen viel Angst genommen. Denn hey, auch fast acht Jahre später lebe ich mein Leben im Großen und Ganzen noch genauso wie vorher und bin kein 24/7 Pflegefall.

Ja, es gibt blöde Verläufe bei der MS. Aber das heißt absolut nicht, dass es bei dir so kommen muss. Wenn du dich bei Worst Case-Szenarien in deinem Kopf ertappst, sag dir in Gedanken laut STOPP, atme durch und denk bewusst an etwas, das du gerne machst – ein Hobby beispielsweise.

Und dann setz dich auf deinen Hosenboden und fang an zu recherchieren. Was ist MS überhaupt und was nicht. Ich wette, du hast genau wie ich damals ein von Klischees verzerrtes Bild im Kopf mit irgendwelchen Horrorvorstellungen. Wie sehen die drölfzighundert verschiedenen Symptome aus, was hilft bei welchen Baustellen, was ist ein Schub, welche Medikamente und Hilfsmittel gibt es, und und und. Wissen ist Macht, und das ist gerade bei einer unheilbaren chronischen Erkrankung verdammt nochmal Gold wert.
Ja, es ist hart, sich das alles durchzulesen und zu realisieren, dass das nicht nur abstrakte theoretische Fakten sind, sondern dass sie dein eigenes Leben betreffen. Dafür musst du mutig und stark sein. Und du musst das nicht alles auf einmal lesen und dir schon gar nicht alles auf einmal merken. Aber setz dich damit auseinander.

Geh auf Instagram, Threads, TikTok und so weiter und sieh dir die Accounts anderer Betroffener an. Folge denen, die dir gut tun. Sei dabei kritisch und hör auf dein Bauchgefühl – es ist okay, Accounts nach einer Weile auch wieder zu entfolgen. Und es ist okay, wenn du zu unterschiedlichen Phasen unterschiedliche Arten von Content brauchst. Was dir im einen Moment wie nervige toxische Positivität vorkommt, kann im anderen genau der Motivationspush sein, der dich aus einem Loch herausholt. Vielleicht brauchst du gerade eher Accounts, die ein ganz normales Leben mit anderen Themen außer MS zeigen, oder eher solche, bei denen sich alles um Hilfsmittel & Co. dreht.
Wichtig ist, dass du merkst: du bist nicht alleine.

Es ist naheliegend, dass dir auf einmal dauernd auffällt, was an deinem Körper alles gerade nicht so richtig funktioniert. Vielleicht hängst du gerade noch in einem Schub drin und hast Symptome, die vorher eindeutig nicht da waren. Oder dir fällt seit der Diagnose so viel mehr auf, was dich schon länger begleitet und was durch die MS-Brille betrachtet plötzlich eine Erklärung gefunden hat.
Das ist völlig normal. Aber: mach dich nicht verrückt. Dein Körper erledigt trotz allem seinen Job verdammt gut und ganz viel funktioniert noch genau so, wie es soll. Klopf ihm dir mal dafür auf die Schulter. 🙌
Mach dir bewusst, was alles weiterhin möglich ist, sei dankbar dafür und tu es. Und hab Spaß dabei. 🙂 Das ist einfach pragmatisch, denn alles andere bringt dich auch nicht weiter.

Mutig und stark sein mit MS heißt für mich…

Wenn der erste Schock der Diagnose erstmal verdaut ist, geht das Leben weiter. Was genau heißt es für mich, mit Mut und Stärke leben zu lernen?

Ich bin kein Fan davon, tief in die Klischee-Kiste zu greifen und so Phrasen herauszukramen wie „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“. Ebenso finde ich Kommentare befremdlich wie „Oh, wie stark, dass du einfach weitermachst“ – ehh, was soll ich denn sonst machen? Es ist ja nicht so, als würde man zusammen mit so einer Diagnose einen dicken Stapel Geldscheine überreicht bekommen, um sich fortan nur noch in der Hängematte räkeln und voll auf seine Gesundheit konzentrieren zu können. Life goes on and sends Rechnungen into your Briefkasten.

Für mich heißt mutig und stark sein mit MS:

  • Trotz der unsicheren Prognose langfristige Verantwortungen übernehmen, beispielsweise vor drei Jahren meine Stute zu kaufen oder die Kreditverträge für das Haus nach der Trennung alleine zu stemmen.
  • Mit chronischen Schmerzen leben und mir davon trotzdem nicht die Laune vermiesen lassen.
  • Im beruflichen Kontext nicht verbergen, dass ich MS habe. Mein damaliges Team hatte das rund um die Diagnose mitbekommen, da ich nach der Zeit im Krankenhaus erstmal transparent mit dem Thema umgegangen bin. Mittlerweile wussten es nur sehr wenige Kollegen. Als vor einigen Monaten in der Firma ein ESG-Kommittee gegründet wurde, das sich um die Berücksichtigung von Umwelt-, Nachhaltigkeits- und Sozialfragen wie Inklusion in der Unternehmensführung kümmert, habe ich in meiner Bewerbung die MS offen erwähnt und bin letztlich sogar Vorsitzende des Kommittees geworden.
  • Ärzten gegenüber hartnäckig bleiben, bitte genauer hinzugucken und Beschwerden nicht einfach abzutun mit einem „naja, das wird halt von der MS kommen“.
  • Mich trauen, meinen Rollstuhl zu nutzen (und dabei die irritierten Blicke auszuhalten, wenn ich nicht dem Klischee eines Querschnittsgelähmten entspreche und sehr wohl aufstehen und laufen kann – nur eben mit Schmerzen, die nicht nach außen hin sichtbar sind).
  • Nicht ständig über meine Grenzen gehen, nur um nicht aufzufallen und Erwartungen zu über-erfüllen.
  • Die Energie zusammenkratzen, um mich um alle möglichen Arzttermine zu kümmern (MRT, Neurologe, immer wieder Hausarzt, Physio, Orthopäde, …) oder bürokratischen Papierkram zu erledigen, beispielsweise Anträge auf Hilfsmittelversorgung oder auf einen GdB (Grad der Behinderung).
  • Stark sein, gerade indem ich mir Schwäche zugestehe und Hilfe annehme.

Mit Mut und Stärke zu leben bedeutet für mich nicht, dass es keine schwierigen Tage gibt. Es bedeutet nicht, dass ich nicht auch schimpfe und fluche und manchmal weine, weil in dem Moment alles irgendwie Scheiße ist.
Es bedeutet für mich, mich trotz der Herausforderungen nicht unterkriegen zu lassen und mir – ungeachtet phasenweiser Alles-doof-Momente – eine gewisse Zuversicht zu bewahren. „Et hätt noch immer jot jejange“, sagt der Kölner… irgendwie wird sich immer irgendein Weg finden.

Ja, die MS hat mich und mein Leben verändert. Nicht wer weiß wie filmreif dramatisch von jetzt auf gleich um 180°, sondern allmählich und in kleinen Schritten. Auf ein paar Dinge davon hätte ich definitiv dankend verzichten können – aber hey, letzten Endes sind es doch die Herausforderungen im Leben, an denen wir wachsen.

Und jeder Tag ist eine neue Gelegenheit, Mut zu zeigen und dich diesen Herausforderungen zu stellen – ob mit oder ohne MS.

2 Kommentare zu „Welt-MS-Tag 2024: „Diagnose MS: Mit Mut und Stärke leben lernen““

  1. Meine Tante hat auch die Diagnose MS bekommen und sie musste ihren Laden daraufhin verkaufen, weil sie damit nicht gut weiterarbeiten konnte. Sie ist Friseurmeisterin. Nun führt sie ein ganz kleines Unternehmen, hat ihre Stammkunden, die sie gut kennen und ihr vertrauen und wissen, dass der Besuch bei ihr etwas länger dauert, aber dennoch Qualität hat. Sie unternimmt viel mit ihrem Sohn und macht auch das beste aus ihren Möglichkeiten.

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